Kostbares Nass
Gestern kroch ich morgens halb verschlafen aus dem Bett. In der Nacht war ich wieder zweimal aufgestanden um die Wasser-Pumpe anzustellen und unsere beiden fast leeren Tanks zu befüllen. Solche Aktionen sind in meiner deutschen Heimat nicht vorstellbar. In meiner nepalischen Heimat sind für den täglichen Wasserbedarf mühsame und anstrengende Tätigkeiten erforderlich. Hierbei zählt unser Haushalt noch zu den privilegierten, da eine direkte Wasserleitung vom Wasserreservoir zu uns führt und wir, wenn es wieder so weit ist und eine Wasserlieferung ansteht, nur die Pumpe einschalten müssen. Andere Menschen müssen sich das Wasser an öffentlichen Wasserstellen holen und dort ihre Kanister befüllen.
Es gibt keinen regulären Plan, wann und um wie viel Uhr die Wasserlieferungen kommen. Manchmal alle 6 Tage, manchmal alle 10 Tage oder wenn es etwas länger dauert, auch mal alle 14 Tage. Meistens wird das kostbare Nass spät abends oder in der Nacht geliefert. Beliebte Uhrzeiten sind 23.30 Uhr, 2.30 Uhr oder 3.30 Uhr. Es soll ja nicht einfach sein. Wer diese Stunden verpasst oder verschläft hat Pech gehabt. An manchen Tagen kommt eine erste Lieferung auch von 18.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Wenn wir dann die Pumpe vom Nachbarn hören, rennen wir raus um unsere anzuschalten. Dabei gibt es öfters „Fehlalarm“. Insbesondere dann, wenn die Nachbarn das Wasser aus den Reservetanks aufs Dach in die schwarzen runden Tanks pumpen. Manchmal mutmaßen wir zusammen mit den Nachbarn über den Termin der nächsten Wasserlieferung. Dann stellen wir uns den Wecker, stehen auf um festzustellen, dass wir zu früh aufgestanden sind oder es einfach nur der falsche Termin war.
Passend zu diesem Thema mein Erlebnisbericht, der in der Nepal-i (Ausgabe 117/2017, Zeitschrift der DNG Köln, www.deutsch-nepal.de) erschienenen ist:
Mit der erfolgreichen Umsetzung des Melamchi Wasser Projekts soll die chronische Wasserknappheit im Kathmandutal beendet sein. Die Implementierung des Projekts erfolgte im Dezember 2000. 17 Jahre danach ist das Projekt weit fortgeschritten. Der 27,5 km lange Tunnel von Melamchi nach Sundarijal ist fast komplett. Die meisten Straßen in der Landeshauptstadt Kathmandu sind auf gegraben und die Wasserrohre verlegt. Dennoch gibt es in vielen Haushalten kein fließendes Wasser. Selbst wenn die Häuser mit Leitungen ausgestattet sind, sprudelt das Wasser nicht unablässig. Ob der Traum vom kostbaren Nass in unbegrenzten Mengen nach Abschluss des Melamchi Wasser Projekts tatsächlich in Erfüllung geht?
Nachfolgend möchte ich meine Erlebnisse mit Wasser, Wasserknappheit, Wasserlieferungen, Wassersparen, bewusstem Umgang mit Wasser, manchen Frustrationen und letztlich großer Dankbarkeit für diese Erfahrungen schildern. Wie gelassen die Nepalis mit diesem Thema umgehen, ist für mich bewundernswert.
In 2008, meinem ersten Jahr in Kathmandu hatten die Vermieter unserer Wohnung noch keine Solarzellen auf dem Dach. Heiß duschen hieß Wasser erhitzen, mit kalten Wasser mischen, in einen großen Eimer füllen und die Schöpfkelle als Brausekopf benutzen.
Im selben Jahr fingen die regelmäßigen Stromabschaltungen an. Zu dieser Zeit gab es weder einen Stromabschaltungsplan noch eine App mit frühzeitiger Erinnerung fürs Handy. So kam es häufig vor, dass das Wasser direkt nach dem Einseifen versiegte. Der Vermieter hatte vergessen die Wasserpumpe rechtzeitig anzustellen um das kühle Nass in die Tanks auf dem Dach zu befördern. Wie gut, dass wir eine Handpumpe im Garten hatten. Mit dem erneuten Einsatz der Schöpfkelle konnten die Seifenreste abgespült werden.
Uns ging es gut. Wir hatten zumindest fließendes Wasser im Haus. Ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarn, die davon nur träumen konnten. Die quietschende Wasserpumpe als einzige Wasserquelle für vier Wohnhäuser war im Dauereinsatz. Alles, wofür Wasser benötigt wurde, spielte sich im Hof ab. Früh am Morgen wurden die Zähne geputzt. Der Hals wurde mit lautem Räuspern gereinigt. Dann wurde das schmutzige Geschirr gewaschen. Wenn die Sonne schien, wuschen sich die Frauen ihre langen schwarzen Haare. Die Kinder standen in Badehose und wurden von den Eltern eingeseift und mit einer Plastikkelle voller Wasser abgeduscht. Die Wäsche wurde in großen Schüsseln eingeweicht, gebürstet, geschrubbt, gestampft und gewrungen – so lange bis sie sauber war. Das einzig Gute; sie brauchen sich nicht nach den Stromausfallzeiten zu richten. Die Wasserpumpe konnte manuell von Hand bedient werden.
Seit unserem Umzug in ein Haus, sind wir nun selbst verantwortlich, die existentielle Flüssigkeit in die Tanks auf dem Dach zu pumpen. Um die im Garten stehenden 3500 Liter Tanks zu befüllen, erhalten wir regelmäßige Wasserlieferungen. Hier in unserer Straße in Lazimpat sind viele Häuser mit einer Wasserleitung, die mit einem Reservoir verbunden ist, ausgestattet. Außerhalb der Regenzeit erhalten wir Wasser alle 11 Tage, während des Monsuns alle 5 Tage. Die Lieferung beginnt in der Regel spät Abends um 23 Uhr und dauert meistens die ganze Nacht über. Damit das Wasser überhaupt in die Tanks fließen kann, muss die dafür angeschaffte Pumpe angeschaltet werden. Um ein Überfließen der Tanks zu vermeiden, ist es erforderlich ein bis zweimal früh morgens um 3 Uhr oder 4 Uhr aufzustehen und die Pumpe abzustellen. Wenn wir Glück haben, sind dann am Morgen die Tanks im Garten und der Tank auf dem Dach voll. 3500 Liter hören sich nach einer großen Menge an. Wenn der 500 Liter Tank auf dem Dach allerdings nach zwei Tagen leer ist, stelle ich mir schon die Frage, wo das ganze Wasser geblieben ist. Wäschewaschen, Duschen, Körperpflege, Putzen, Kochen, Geschirr abwaschen, Toilettenspülung – wie schnell die Kostbarkeit bei einem 4 Personen Haushalt auch bei einem bewussten Umgang mit Wasser aufgebraucht ist. Wenn der Tankboden nur noch mit einer kleinen Pfütze bedeckt ist, beginnt die Nervosität allerdings größer zu werden. Obwohl die Möglichkeit besteht, eine 6000 Liter Wasserlieferung per Tanklaster für ca. NPR 2000 zu bestellen, kann es schon vorkommen, dass ich genau beobachte, wann wer und wie lange eine Dusche nimmt. Vor allem wenn sich unser nepalischer Besuch, ohne zu fragen, ins Badezimmer begibt um einfach mal wieder heiß zu duschen. Das kann deutsche Nerven doch ganz schön strapazieren und erfordert eine gezielte Kontrolle der eigenen Reaktionen.
Verglichen mit den Gegebenheiten in anderen Haushalten in Kathmandu und Umgebung ist das eigentlich kein Grund sich aufzuregen. Es gibt noch genügend Leute, die in einem Gebäude ohne Wasserleitung oder ohne manuelle Wasserpumpe im Hof leben. Öffentliche Wasserstellen bieten für diese Menschen die Möglichkeit den Wasservorrat aufzufüllen. Gleich bei uns um die Ecke ist so eine Oase. Die öffentliche Wasserstelle ist ebenfalls mit dem Reservoir verbunden. Wenn bekannt wird, wann die Wasserlieferungen in unserem Gebiet erfolgen, stehen die Menschen mit ihren Wasserbehältern Schlange. Während der Monsunjahreszeit kommen die Wasserlieferungen öfters, manchmal sogar ganztags. Dann sind auch Frauen zu sehen, die sich die Haare direkt am Wasserplatz waschen.
Wenn ich in Deutschland zu Besuch bin, ist es eine Freude den Wasserhahn aufzudrehen. Heißes & kaltes Wasser rund um die Uhr, rund ums Jahr. Welcher Luxus.
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